[Rezension] Fourth Wing – Flammengeküsst (Bd. 1)

Fourth Wing – Rebecca Yarros

Aquila

Verlag: Piatkus | Seiten: 500
Erscheinungsjahr: 2023

Kurzbeschreibung

Violet Sorrengail hat sich ihr Leben lang darauf vorbereitet, eine Schriftgelehrte zu werden. Doch ihre Mutter, die hochausgezeichnete Generalin Lillith Sorrengail und Leiterin des Reiterquadranten im Basgiath War College hat andere Pläne für ihre Tochter: Violet soll zur Elite gehören. Somit bleibt Violet nichts Anderes übrig als dem Willen ihrer Mutter zu folgen, auch wenn das bedeutet, dass es ihr das Leben kosten könnte. Denn es erwarten sie nicht nur leicht reizbare, feuerspeiende Drachen und tödliche Challenges, sondern auch ihr größter Feind, der ihr nach dem Leben trachtet.


Meine Meinung

500 Seiten in vier Tagen – für mich ist das eine Art Rekord. Ich habe seit langer Zeit nicht mehr so sehr an den Seiten eines Buches geklebt, wie bei diesem Roman. Seit langem hat mich kein Roman mehr SO mitgenommen, haben mich die Figuren und der Plot so begeistert. Und es ist eine Schande, dass ich jetzt bis November warten muss, um den nächsten Teil lesen zu können. Dabei muss ich sagen, dass mir nicht ausnahmslos alles an dem Roman gefallen hat (Flop: oberflächliches World Building und sexuelle Inhalte).

Ich kann gar nicht genau sagen, welches der vielen Elemente in diesem Roman mich so sehr fasziniert hat, aber die Drachen waren sicherlich Verkaufsargument Nummer 1. Dicht dahinter steht die Protagonistin Violet, aus deren Perspektive die Geschehnisse geschildert werden. Wenn mir die Ich-Perspektive über den Weg läuft, bin ich zunächst sehr skeptisch. Denn wenn es den Autor*innen nicht gelingt, ihren Ich-Erzähler*innen genug Leben, ergo Persönlichkeit einzuhauchen, wird das sehr schnell sehr langweilig. Aber Violet ist das Gegenteil davon. Ihre Ausgangssituation ist alles andere als schmeichelhaft und doch lässt sie sich nicht unterkriegen. Obwohl sie manchmal als eine „Ich-bin-nicht-so-eine“ rüberkommt, war sie mir insgesamt doch sehr sympathisch. Sie ist nicht perfekt und sie versucht es auch nicht zu sein. Ihre chronische Krankheit (Ehlers-Danlos-Syndrom) und körperliche Unterlegenheit macht sie mit jeder Menge Witz, Sarkasmus, Intelligenz und Mut wieder wett.

Auch der restliche Figurencast hat dazu beigetragen, die Lesestunden abwechslunsgreich zu gestalten. Ich hatte wirklich das Gefühl, ein Teil dieser Freundesgruppe zu sein – auch wenn es ich wahrscheinlich gar nicht erst über den Parapet geschafft hätte. Positiv überrascht hat mich auch die Einbeziehung einer tauben Nebenfigur.

Violets Love-Interest Xaden Riorson ist eine surreale Figur: düster, tödlich, wohl absolut sexy und definitiv toxisch. Toxisch ist auch die Beziehung zwischen den beiden – da können wir so viel über Romantik diskutieren wie wir wollen (Violet stellt es ja schließlich selber fest). Ich muss sagen, dass mich an ihm ganz andere Sachen interessiert haben: seine Vergangenheit, sein verschlossener Charakter, sein Verantwortungsgefühl und die Geheimnisse, die er birgt. Was ihn für mich anfangs recht eindimensional wirken ließ, waren Violets ständige Beschreibungen seines Aussehens, seines unwiderstehlichen Geruchs und der Tatsache, dass sie gerne mit ihm im Bett landen möchte – und das obwohl er ihr großer Todesfeind ist. Ob das wirklich als „Enemies to Lovers“ bezeichnet werden kann, lasse ich jetzt mal unkommentiert. Vor allem der Perspektivwechsel am Ende des Romans lässt mich sehr stark an diesem Trope zweifeln, aber nunja.

Die Nebenfiguren (freundlich wie feindlich gesinnt) wie Rhiannon, Ridoc, Imogen, Jack, Dain (Dain, du kleine Nervensäge, du! Und doch habe ich einen Soft Spot für ihn) und Liam (ach ja, Liam! Ich weine und schmachte gleichzeitig) waren eine angenehme Abwechslung zum toxisch-explosiven Cocktail namens Violet und Xaden.

Wie schon erwähnt, waren die Drachen für mich die Hauptattraktion des Romans – wen interessieren Männer, wenn man Drachen hat? Vor allem Drachen wie Tairn oder Andarna? Die Interaktionen zwischen Tairn und Violet waren teilweise wirklich urkomisch und obwohl Tairn so mächtig ist, will man ihn doch einfach nur knuddeln. Von Anadarna ganz zu schweigen. Sowieso hat mir die Ausgestaltung des Drachenreitertums wirklich sehr gut gefallen. Das Bonding zwischen Reiter*in und Drachen sowie die magischen Kräfte, die sich daraus entwicklen. Dieser Aspekt des World Buildings ist der Autorin sehr gut gelungen und hat bei mir die Faszination für die Drachen angefacht.

Anfangs hatte ich das Gefühl in einer Mischung aus „Eragon“, „Temeraire“, „Divergent“ und „Ninja Warrior“ gelandet zu sein. Das Basgiath War College, die Quadranten, die Challenges, einige Figureninteraktionen und -konstellationen, die Atmosphäre haben mich sehr stark an die Dauntless-Fraktion aus „Divergent“ erinnert. Da ich von „Eragon“ nur den ersten Teil (hauptsächlich als Film) kenne, kann ich nicht sagen, wie groß da die Ähnlichkeiten sind. Die Ähnlichkeiten zwischen „Fourth Wing“ und „Temeraire“ hielten sich sehr in Grenzen. Nach ein paar Kapiteln merkt man aber schon, dass die Autorin etwas ganz Eigenes aus der Geschichte gemacht hat. Obwohl sich die Plots hier und da ähneln, ist der Plot von „Fourth Wing“ um einiges düsterer und brutaler. Mit jedem Plotpunkt erhöht sich der Einsatz, den die Protagonistin leisten muss – und sie muss wirklich viel riskieren. Die Spannungskurve ist stabil über die gesamte Handlung hinweg, auch wenn man hier und da etwas hätte kürzen können. Man ist gefesselt, fasziniert, man lacht und weint mit den Figuren (vor allem gegen Ende) und man fühlt sich einfach als Teil der Geschichte. Je nachdem wie gut man mit dem Fantasy-Genre bekannt ist, fallen einem Elemente auf, die die Handlungsentwicklung etwas vorhersehbar machen, aber insgesamt ist es der Autorin doch gelungen mich zu überraschen – vor allem eine Szene am Ende hat mich emotional wirklich geschafft: Ich saß tränenüberströmt da. Und dieser Cliffhanger ist wirklich eine ganz große Unverschämtheit! Auch die Verquickung von Fabeln und Mythologie im Roman hat mich wirklich begeistert.

Jetzt kommen wir zu meinen Kritikpunkten, die leider sehr stark ineinandergreifen: In „Fourth Wing“ geht es heiß her und damit meine ich nicht die Drachen, die verschiedene Figuren mit ihrem Feuer zu einem Häufchen Asche verwandeln. Nein, es geht in diesem Roman sehr viel um Sex und Lust. Klar, dass es sich bei „Fourth Wing“ um einen Romantasy-Roman handelt, war mir von Anfang an klar und daran ist ja auch nichts verkehrt. Aber ich hatte dann doch so meine Probleme, die im Roman porträtierte „Romantik“ mit den Begriffen, die ich davon habe, zu vereinen. Die explizite Darstellung und (gefühlt) ständige Thematisierung von Sex und Lust sowie die geschilderte sexuelle Anziehung zwischen der Protagonistin und ihrem Love- bzw. eher Sex-Interest waren mir manchmal einfach zu viel des Guten. Auch die anderen Figuren halten mit ihrem Liebes- bzw. Sexlebens nicht hinterm Berg – denn in Basgiath weiß man schließlich nicht, ob man den nächsten Tag noch erlebt, da ist ein bisschen Casual Sex an der Tagesordnung. Es gibt zwei Kapitel, in denen jede sexuelle Handlung, wie soll ich sagen, ausbuchstabiert wird. Aufgrund dieser Szenen bin ich mir auch nicht sicher, ob man „Fourth Wing“ als Young Adult bezeichnen sollte. Altersmäßig liegen die Protagonisten wohl knapp auf der Grenze. Intuitiv hätte ich es als New Adult eingeordnet.

Außerdem hatte ich sehr stark das Gefühl, dass das World Building hinter diesem ganzen Romance-Sex-Gemisch zurückstehen musste – was für eine Verschwendung! Das World Building ist in diesem Roman so dermaßen willkürlich und oberflächlich, da haben sich mir manchmal schon die Haare gesträubt. Mir ist klar, dass „Fourth Wing“ kein Einzelband ist, sondern Teil einer mehrbändigen Reihe und man nicht alles in einem Band abhandeln kann und ebenso ist mir klar, dass es kein High Fantasy ist. Aber ich habe so viele Fragen! Das World Building im Roman passiert eher beiläufig, in kleinen Stücken und Bissen, im Rahmen von Unterrichtsstunden und in beiläufigen Gesprächen, ohne aber ein annähernd vollständiges Bild zu ergeben. Alles was das War College betrifft ist sehr detailliert beschrieben und man bekommt ein sehr klares Bild von dem Leben und der Ausbildung dort. Aber was das restliche Navarre betrifft, die Gesellschaft, die Kultur, die Religion, die Geschichte (ein 400 Jahre andauernder Krieg – was ist da los?) – da habe ich leider ein sehr großes Fragezeichen in meinem Kopf. Es wird so ein großer Aufruhr darüber gemacht, dass Violet ihr ganzes bisheriges Leben dazu ausgebildet wurde, eine Schriftgelehrte zu werden und dann teilt sie doch nur so wenig von dem angesammelten Wissen. Was mir am meisten Kopfzerbrechen verursacht hat, war die Frage nach dem historischen Setting. Insgesamt haben mich die Beschreibungen an ein frühneuzeitliches Setting erinnert – vielleicht noch ein bisschen später? Aber so ganz sicher bin ich mir da nicht. Dass das Setting nicht näher beschrieben wurde, finde ich sehr schade.

Während viele den Roman loben, weil er auch die Frage nach Verhütung thematisiert (ja, das ist großartig!), hat mich das allerdings total aus der Bahn geworfen. Soweit ich diese zwei bis drei Zeilen verstanden habe, geht es dabei um Schwangerschaftsverhütung. Das ist ja schön und gut, aber was macht ihr denn bitte gegen sexuell übertragbare Krankheiten, die es doch unweigerlich geben muss, wenn alle munter durch die Gegend v*geln? Klar, kann man mir vorwerfen, dass ich hier von einem Fantasy-Roman zu viel verlange und zu praktisch denke, aber im Buch wird sogar erwähnt, dass sie über ein Abwassersystem bzw. eine Toilettenspülung verfügen, also wer denkt hier zu praktisch?

Ich habe „Fourth Wing“ auf Englisch gelesen und dann nochmal das Hörbuch auf Deutsch gehört. Und ich muss ehrlich sagen, dass ich froh darüber bin, den Roman im Original gelesen zu haben. Denn zwischen Original und Übersetzung gibt es doch so einige Qualitätsunterschiede – sprachlich liegen da teilweise Welten dazwischen. Anfang Juli war ich bei der Lesung zum Buch, bei der auch die Autorin anwesend war. Im Verlauf der Lesung sagt sie, dass sie intensive etymologische Recherchen betrieben hat. Sie wollte eine anachronistische Sprachverwendung vermeiden und zielte auf einen eher altertümelnden Sprachstil ab. Zum Beispiel hat sie versucht auf Wörter wie „okay“ zu verzichten; denn das Wort ist noch recht modern; seine Entstehung geht wohl auf das 19. Jahrhundert zurück. Schade nur, dass sich die deutsche Übersetzung überhaupt nicht daran hält: „It’s all right, Violet“ (S. 471) wird mit „Schon okay, Violet“ übersetzt und „It’s not alright“ (S. 471) mit „Es ist nicht okay“. Ich habe den Roman auf meinem Kindle nach dem Wörtchen „okay“ durchsucht und bekam keine Ergebnis. Ich kann natürlich nicht ganz beurteilen, ob im Englischen die Sprache zum intendierten historischen Setting passt, weil ich ja zB auch nicht weiß, welches das sein soll, aber ich bleibe dabei, dass die deutsche Übersetzung in mancherlei Hinsicht nicht gelungen ist.


Mein Fazit

What a (dragon) ride! Dieser Roman hat mir vorübergehend ein neues Zuhause geschenkt. Ich war so involviert, dass ich für ein paar Tage nicht anders konnte als zu lesen – der Vibe und die emotionale Bindung waren einfach zu stark. Obwohl ich zwei Hauptkritikpunkte habe (oberflächliches World Building und die sexuellen Inhalte), kann ich nicht anders als zu sagen: Absolute Leseempfehlung!


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