Io madre mai – Donata CarelliVerlag: Piemme | Seiten: 240 Erscheinungsjahr: 2024 |
Kurzbeschreibung
Das Leben der Autorin wird von drei Gewissheiten bestimmt: Sie ist noch nicht erwachsen. Sie will nicht heiraten. Und sie will niemals Mutter sein. In ihrem Roman setzt sich die Autorin für Frauen ein, die sich für ein Leben ohne Kinder entscheiden. Indem sie ihre eigene Geschichte erzählt, fordert sie Solidarität und Akzeptanz dafür, dass es auch andere, ebenso gültige Lebensentwürfe gibt als den traditionellen Lebensweg. Die Autorin betrachtet die Möglichkeiten der Mutterschaft, für die sich eine Frau entscheiden kann.
Meine Meinung
Dieser Roman war eine herbe Enttäuschung für mich – wirklich. Es war nicht der Roman über Kinderlosigkeit, den ich erwartet hatte. Der darausfolgende Frust und die Entrüstung haben auch für eine ordentliche Leseflaute gesorgt, aus der ich eine Weile nicht auftauchen konnte. Aber fangen wir mal von vorne an…
Bei „Io madre mai“ von Donata Carelli handelt es sich um einen autobiographischen Roman, den die Autorin durch fiktionale Elemente wie vertrauliche Offenlegungen von befreundeten Frauen und Männern, die sich mit ähnlichen Fragen beschäftigen, ergänzt hat. Mal ist es die Erzählstimme der Autorin, die die Geschichte erzählt, mal sind es die Stimmen ebenjener Frauen und Männer. Realität und Fiktion waren nicht voneinander zu unterscheiden.
Zu Beginn wabert die Handlung ein wenig vor sich hin. Damit meine ich nicht, dass ihre Erinnerungen an ihre Kindheit und früher Jugend etwas unscharf waren, nein, ganz im Gegenteil: Diese waren sehr klar umrissen. Mir kam es allerdings so vor, als wüsste die Autorin zunächst selbst nicht, was und wovon sie genau erzählen möchte. Ein deutlicher roter Faden wird erst nach ungefähr dem ersten Drittel erkennbar. Aber auch dann plätscherte der Roman ein bisschen antriebslos vor sich. Als Leser*in erlebt man, wie die Autorin sich in Beziehungen und Ängsten verheddert, sich im Kreis dreht und sehr viel jammert.
Im Verlauf des Romans plädiert sie, solidarisch mit Frauen zu sein, die keine Kinder haben möchten; die nie Mütter werden wollen. Sie verlangt, dass Frauen als Frauen angesehen werden, abgekoppelt von den gesellschaftlichen Erwartungen Mütter und Partnerinnen (idealerweise Ehefrauen) sein zu müssen. Vor allem ruft sie andere Frauen dazu auf, den kinderlosen Frauen keine hinterhältigen Fallen aus Worten und Blicken zu stellen, ihnen ihren Wert abzusprechen und ihre Vorwürfe zurückzuhalten. Die Überzeugung, mit der sie ihren Standpunkt immer mal wieder einfließen lässt, habe ich ihr bis zum Epilog auch abgenommen.
In vielen ihrer Aussagen habe ich mich auch durchaus wiedererkannt: Der Wunsch als Kind nicht erwachsen werden zu wollen; den egoistischen Gedanken, ein Kind zu bekommen, nur um jemanden an sich zu binden, einen Teil von jemanden zu besitzen; die Unmöglickeit, jemanden gehen zu lassen, obwohl man die Person noch liebt. Auch mit ihrer Wortschöpfung „zingle“ („single“ + „zitella“ (dt. ~ alte Jungfer) konnte ich durchaus liebäugeln. Und ich bin ehrlich: Es war erfrischend zu lesen, dass man selbst mit 40 Jahren sein Leben noch nicht ganz auf der Kette hat und man immer noch versucht, das Erwachsein-Sein zu meistern.
Im Laufe der Erzählung wird sehr schnell deutlich, dass die Erzählerin (da ich ja nicht genau sagen kann, ob die Autorin hier eigene Erfahrungen und Empfindungen verarbeitet oder diese mit den Erfahrungen anderer vermischt) viele Ängste mit sich herumträgt. Ein paar davon sind mir auch nicht unbekannt wie die Ehrfurcht davor, Verantwortung für andere Personen übernehmen zu müssen. Die Angst, Fehler auf die Kosten dieser anderen Person zu machen und ihr somit zu schaden. Doch in diesem Roman steigert sich diese Angst, vereint sich noch mit Bindungs- und Verlustängste und kulminiert in einer Art depressiven Angststörungen. Und es ist genau diese Angststörung, die der Nährboden für ihre Kinderlosigkeit ist. Diese Angst löst sich im Verlauf der Handlung und was dann folgt, hat nichts mehr mit der zuvor hochgepriesenen Kinderlosigkeit zu tun.
Ich bin selbstverständlich der Meinung, dass die Autorin durchaus berechtigt ist, ihre Geschichte zu erzählen. Und ich möchte ihr mit meiner Rezension, weder ihre Perspektive noch ihre Meinung absprechen. Denn ihre Erfahrungen zum Thema Kinderlosigkeit sind Teil des Diskurses und deswegen sind sie auch relevant, allerdings komme ich um das Gefühl nicht umhin, dass sie den kinderlosen Frauen, die aus innerer Überzeugung kinderlos bzw. -frei sind, einen Bärendienst erwiesen hat. Sie zementiert mit der Art und Weise wie sie ihre Geschichte erzählt, ein uraltes Vorurteil, das bestimmt schon allen kinderlosen Frauen gemacht wurde, nämlich, dass man seine Meinung doch noch ändert und doch noch ein Kind bekommt. Es macht mich sehr wütend, wenn ein Roman, als etwas vermarktet wird, das er nicht ist. Ich finde, dass dieser Roman sehr gut zusammenfasst, warum sich jemand kinderlos und nicht kinderfrei nennen sollte.
Was mich zusätzlich noch auf die Palme gebracht hat, war der Epilog. Und rückblickend frage ich mich, warum ich so überrascht war. Für die Rezension bin ich nochmal all die Stellen durchgegangen, die ich mir im Verlauf der Lektüre markiert hatte und eigentlich war es offensichtlich. Die Autorin bemüht sehr oft den Mutterinstinkt – dieses Argument lieb ich ja… nicht. Außerdem sagt sie, dass eine Frau ihre Mütterlichkeit auch ohne Kinder ausleben könne. Damit bin ich natürlich einverstanden. Dass sie letzteres aber zum Kernpunkt ihres Romans erhebt, war mir dann aber doch zu viel.
Die Autorin sagt, dass selbst wenn eine Frau keine eigenen Kinder bekommt, kann sie die Welt auf eine andere Art und Weise bemuttern. Sie kann Lehrerin sein, Sozialarbeiterin, die coole Tante, die liebevolle, sich um das Nachbarskind kümmernde Nachbarin usw usf. Sie sagt, Mutterschaft sei eine Haltung, die von der Tatsache, ob man Kinder hat oder nicht hat, abgekoppelt ist (S. 235) – recht hat sie, aber… Was mit den Frauen ist, die niemanden bemuttern wollen, die ihre Mütterlichkeit nicht ausleben wollen, sagt sie nicht. Obwohl sie im Laufe des Romans betont, dass Frau-Sein nicht gleich Mutter-Sein ist, dreht sie diesen Standpunkt in ihrem Epilog um. Daher meine Wut und mein Frust.
Ich hatte am Ende des Romans das Gefühl, in eine Falle getappt zu sein. Anstatt ein Vorbild für Kinderlosigkeit zu finden, habe ich Vorschläge für Alternativ-Mutterschaften vor die Nase gesetzt bekommen. Warum ist es so schwer zu verstehen und zu akzeptieren, dass manche Frauen einfach KEINE Mütter sein, niemanden bemuttern und einfach nur ihr Leben leben wollen? Vielleicht wollen Sozialarbeiterinnen einfach nur ihren Job machen und Tanten einfach nur Freundinnen für ihre Nichten sein?
Mein Fazit
Als kinderfrei lebende Frau war dieser Roman eine Enttäuschung. Hätte ich gewusst, wie das Buch enden würde (und nein, das Ende ist nicht fiktiv!), weiß ich ehrlich nicht, ob ich es gelesen hätte; viellecht schon, aber dann wäre ich anders an die Lektüre herangegangen. Es geht in diesem Roman nicht um Kinderlosigkeit, sondern um Mutterschaft und um die Angst davor. Was man der Autorin anrechnen kann: Sie spricht sich für weibliche Solidarität aus.