Kein Dach über dem Leben – Richard BroxVerlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag | Seiten: 272 Co-Autoren: Dirk Kästel, Albrecht Kieser | Erschienen: 2017 |
Klappentext
Die Straße ist ein gefährlicher Ort geworden für Berber, aber für Richard Brox war sie drei Jahrzehnte lang auch das Reich der Freiheit, der Selbstbestimmung und der Würde. Seine Website mit Tipps und Bewertungen sozialer Anlaufstellen in vielen Städten der Republik machte ihn zum wohl bekanntesten Obdachlosen Deutschlands. Hier erzählt er seine Geschichte, die erschütternden Erlebnisse eines begabten Jungen, der es schafft, aus den Gewalterfahrungen seiner Kindheit und der Drogenkarriere seiner Jugend auszubrechen und sich freizukämpfen. Ein Lehrstück über die Schattenseiten unserer Gesellschaft und ihre soziale Verwahrlosung. © Rowohlt Taschenbuch Verlag
Meine Meinung
Ich lese sehr gerne (Auto)Biographien von Menschen, die etwas Besonderes sind. Nicht weil sie reich sind oder für besonders viele Skandale sorgen, sondern weil sie es schaffen, mit ihren Lebensgeschichten etwas in ihren Lesern zu verändern. Sie zu einem Umdenken zu bewegen, möge dieser auch noch so klein sein. Richard Brox gehört ganz sicher zu dieser Gruppe der besonderen Menschen.
Es handelt sich dabei um die Geschichte eines Obdachlosen: er erzählt von seiner Vergangenheit, seiner Gegenwart und träumt, lebt und arbeitet an seiner Zukunft. Sein Buch macht einem klar, wie gut es einem eigentlich geht und zeigt, dass man keinen Grund hat sich über sein eigenes Leben zu beschweren. Aber seine Worte beschämen auch. So erging es mir zumindest. Mir persönlich jagen die Themen Obdachlosigkeit, Armut und Arbeitslosigkeit eine Heidenangst ein. Und deswegen tendiere ich dazu wegzuschauen. Ich weiß natürlich, dass dies falsch ist. Richard Brox, konnte mir die Angst zwar nicht nehmen und auch nicht relativieren, hat mir gezeigt, dass es immer einen Ausweg gibt. Man muss nur den Kampfgeist und Mut dazu haben, diesen zu finden.
Brox hat ein Motto: „Wir beurteilten uns nicht danach, was wir hinter uns hatten, sondern wie wir uns in der gemeinsamen Zeit verhielten“ (S. 79). Diese Einstellung findet man heutzutage viel zu selten. Viel zu häufig, brüsten wir uns mit dem was wir in der Vergangenheit erreicht haben. Dabei ist diese Denkweise nur in den seltesten Fällen angebracht.
Richard Brox erzählt zunächst von seiner jüngeren Vergangenheit: von den Drogen, dem Entzug, dem Berber-Leben, seinem Blog. Es sind wichtige Stationen in seinem Leben. Anders als erwartet, hat er nicht mit seiner Kindheit oder der Geschichte seiner Eltern begonnen. Die kommt erst im zweiten Teil bzw. am Ende der Biographie. Ganz nach dem Motto ‚Das Schlimmste kommt zum Schluss‘. Es kam mir so vor als wolle er nicht, dass die Leser ihn wegen seiner Kindheit oder der Vergangenheit seiner Eltern bemitleiden oder beurteilen, sondern anhand der Entscheidungen, für die er direkt verantwortlich ist. Das ist eine mutige Herangehensweise. Er bleibt seinem Motto treu.
Der Autor zeichnet ein dramatisches und trauriges Bild von unserer Gesellschaft, dem Versagen des Staates, der Obdachlosigkeit. Aber er kann dieser Obdachlosigkeit auch etwas Positives abgewinnen, das Berber-Leben. Eine mir bis dahin völlig unbekannte Lebenseinstellung. Er betreibt mit seinem Buch eine bitternötige Aufklärungsarbeit. Nicht nur für die Gesellschaft, die er mit ihren Fehlern und Defiziten konfrontiert, sondern auch für sich. Im Rahmen der Recherchen muss er sich mit den Geistern seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Und das war gewiss nicht einfach für ihn. Man liest es in, aber ganz besonders zwischen den Zeilen. Es ist schrecklich was er erlebt hat und welche Erfahrungen er machen musste.
Brox räumt mit Klischees und Vorurteilen auf und zeigt wie bescheuert unser Schubladendenken ist. Er erzählt von seinen Fehlern, seinem Versagen, seinen Fehltritten. Dabei wird klar: Unsere Gesellschaft besteht nicht aus zwei Seiten: wir und die Obdachlosen. Es sollte nur ein wir geben, denn wir sind EINE Gesellschaft. Darauf und auf noch viel mehr macht er aufmerksam: Er zeigt was es heißt auf der Straße zu leben, in einer feindseligen Gesellschaft zu ÜBERleben. Er teilt seine Erfahrungen, seine Träume und seine Errungenschaften. Er gibt sich selbst und den unzähligen anderen Menschen, die seinen Leidensweg teilen, eine Stimme.
Alleine schon der Titel spiegelt eine gewisse Ausweglosigkeit wider. Der Titel lautet nicht „Kein Dach über dem Kopf“, sondern „Kein Dach über dem Leben“. Dies macht die Tragweite des Leids erst richtig bewusst. Ich habe großen Respekt vor Richard Brox und seinem Mut, seine Geschichte aufzuschreiben und sie der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich wünsche ihm ganz viel Kraft. Außerdem hoffe ich, dass er in Zukunft den Menschen so helfen kann, wie er es sich vorstellt.
Mein Fazit
Mit seiner Autobiographie „Kein Dach über dem Leben“ verpasst Richard Brox seinen Lesern eine kalte Dusche in Sachen Realität. Doch in dem Buch steckt auch eine kleine große Prise Hoffnung: für sich selbst, für seine Leidensgenossen und für die Gesellschaft. Wegschauen ist einfach, aber deswegen ist es noch lange nicht richtig. Und genau das scheint auch das Cover auszusagen. Er will, dass wir hinschauen, ihm in die Augen blicken und helfen, egal wie. Ich kann das Buch nur allen ans Herz legen.
raft. Außerdem hoffe ich, dass er in Zukunft den Menschen so helfen kann, wie er es sich vorstellt.
Lieblingszitate
„Wir beurteilen uns nicht danach, was wir hinter uns hatten, sondern wie wir uns in der gemeinsamen Zeit verhielten“ (S. 79)
„Warum gab es uns überhaupt?! Ja, warum gab es uns? Weil manche straucheln und fallen, ganz einfach. Und andere auf gemeinste Weise zu Fall gebracht werden. Und weil man sie nicht am Wegesrand liegen lassen darf, wenn man sich Mensch nennt und eine Gesellschaft menschlich“ (S. 76)