Laufen – Isabel BogdanVerlag: Kiepenheuer & Witsch | Seiten: 208 Erschienen: 2019 |
Kurzbeschreibung
Nach dem Suizid ihres Lebensgefährten fängt eine Frau an zu laufen. Sie läuft nicht um ihr Leben oder vor ihrem Leben davon, sondern für ihr Leben. Mit jedem Kilometer findet sie langsam den Weg hinaus aus der Trauer und zurück zu sich selbst, zu allem was das Leben lebenswert macht.
Meine Meinung
Als ich den Roman das erste Mal zur Hand nahm, ging ich davon aus, dass es sich bei dem „Verlust“, wie er im Klappentext lediglich benannt wird, um eine Trennung handele. Da ich von einer „ganz normalen“ Trennung ausging, war ich sowieso nicht sicher, ob es zu dem Zeitpunkt das richtige Buch sei, da ich mich zu dem Zeitpunkt erst selbst frisch getrennt hatte. Nach den ersten gelesenen Seiten wurde klar, dass mit Verlust ein Suizid gemeint ist; eine Trennung ja, aber eine viel endgültigere als ich sie in dem Moment durchlebte. Das war das erste Mal, dass es bei mir ‚Klick‘ machte, ich aus meinem Selbstmitleid auftauchte und mir klar wurde, dass es schlimmere Schicksale gibt als eine gescheiterte Beziehung (sollte man trotzdem nicht unterschätzen).
Rückblickend kann ich sagen, und es ist nicht einfach dies so öffentlich zuzugeben, dass es zu dem Zeitpunkt genau die richtige Lektüre für mich war. Ich habe das Lesen dieses Buches als therapeutisch und heilsam empfunden. Denn auch eine gescheiterte Beziehung ist ein Verlust, wenn auch von einer anderen Größenordnung. Die namenlose Protagonistin hat mich an die Hand genommen und sie hat mich bzw. ich habe sie dabei begleitet, den Verlust, jeder seinen eigenen, zu verarbeiten. Sie laufend, ich lesend.
Ich war ehrlich erstaunt, wie viele Gedanken der Protagonistin sich in meinen widerspiegelten. Es hat mir wahnsinnig geholfen, diese Gedanken, die ich mir nicht traute auszusprechen oder aufzuschreiben, geschrieben zu sehen. Es war irgendwie befreiend. So viele Post-Its sind lange nicht mehr zum Einsatz gekommen.
Die namenlose Frau beginnt nach dem Suizid ihres langjährigen Lebensgefährten an zu laufen: immer weiter, immer länger. Erzählerisch wird dies mittels eines unendlichen Gedankenstroms, eines inneren Monologs umgesetzt. Der Leser lernt die Frau über ihre Gedanken kennen: erlebt ihren alten und neuen Alltag; hört, was ihre beste Freundin Rike und ihre Therapeutin Frau Mohl sagen, um ihr zu helfen. Die Protagonistin gewährt einem auf diese Weise einen detaillierten Einblick in ihren Umgang mit dem allgegenwärtigen Schmerz, mit ihren Schuldgefühlen, mit ihrer Verzweiflung, aber auch mit ihren Hoffnungen und ihrer Dankbarkeit. Auch der Wunsch aus dem alten Leben, der Trauer auszubrechen und gleichzeitig der Versuch an allem festzuhalten, die Möglichkeit zurückzugehen, spielen eine wichtige Rolle.
Dieser Weg zurück ins Leben wird auf knapp 200 Seiten sehr ehrlich, berührend, authentisch und überzeugend erzählt – nicht literarisch hochtrabend oder besonders ausgefeilt. Einfach lebensnah. Die Entwicklung der namenlosen Frau ist bis zur letzten Seite kohärent, glaubwürdig und realitätsnah. Ich konnte mich, trotz der unterschiedlichen Natur unserer Verluste, häufig in sie hineinversetzen und mitfühlen.
Mein Fazit
„Laufen“ von Isabel Bogdan ist kein Patentrezept, das den Umgang mit Trauer beschreibt. Aber es kann eine Stütze sein und auch als Einstieg in die Thematik dienen. Für mich war es eine sehr persönliche Lektüre, die mir geholfen hat, mich nach der Trennung zu orientieren, Mut zu fassen und neue Wege einzuschlagen.