Mittwoch also – Lotta ElstadVerlag: Kiepenheuer & Witsch | Seiten: 304 Originaltitel: Jeg nekter å tenke | Übersetzerin: Karoline Hippe Erschienen: 2019 |
Kurzbeschreibung
Hedda verliert ihren Job und ihre Liebesaffäre gibt ihr den Laufpass. Resigniert macht sie sich auf den Weg nach Griechenland. Doch nach einer Notlandung in Sarajevo macht sie sich auf den Heimweg. Auf der Rückreise hat sie einen One-Night-Stand mit Milo in Berlin. Zurück in Oslo stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Doch bevor sie eine Abtreibung vornehmen lassen darf, muss sie eine mehrtägige Bedenkzeit einhalten. Während dieser Wartezeit macht Hedda alles, außer nachzudenken. Sie trifft eine fragwürdige Entscheidung nach der nächsten…
Meine Meinung
Ich habe sehr lange mit dem Buch, mit der Rezension und mit mir selbst gerungen. Denn dieses Buch und allen voran diese Protagonistin haben mich so unglaublich wütend gemacht, dass ich jedes Mal, wenn ich mich an die Rezension gesetzt habe, wieder wütend wurde und das Textdokument geschlossen habe. Mir ist bewusst, dass die Autorin genau dies mit ihrem Roman erreichen wollte. Sie wollte mit ihrem Roman das Thema Abtreibung aus einer anderen Perspektive betrachten: nicht aus der Perspektive einer Person, die sich unverschuldetermaßen mit dieser Entscheidung konfrontiert sieht (keine „Opfer-Erzählung“), sondern aus der Sicht einer Person, die sehenden Auges ins Unglück rennt und nichts, absolut gar nicht daraus lernt. So einen Roman zu schreiben, ist schwer und absolut legitim, vielleicht sogar notwendig; dennoch ist es ihr in meinen Augen nicht gut gelungen. Außerdem sollte diese Art und Weise der Darstellung auch kommuniziert werden. Im Klappentext, in einem Vorwort oder in einem Nachwort. Bei diesem Buch: Fehlanzeige. Und das ist bei einem so sensiblen und komplizierten Thema wie Abtreibung ein absolutes No-Go.
Wenn man vom Klappentext ausgeht, dann verspricht dieser etwas, was das Buch nicht hält. Als ich den Roman zur Hand nahm, dachte ich, dass die Autorin in ihrem Roman eine emotionale, aber dennoch kritische und reflektierte Diskussion zum Thema Abtreibung ausrollen würde (soweit das bei diesem Thema überhaupt möglich ist). Dass es eine Art innerer Monolog der Protagonistin würde, in dem sie sich mit ihren Gedanken und Gefühlen, ihrer Stellung in der Gesellschaft, die Einstellung der Gesellschaft zum Thema Schwangerschaft und Abtreibung auseinandersetzen würde. Ich habe erwartet, dass sie soziale und ethische Verantwortung diskutiert, sozio-öko-politische Kritik betreibt und ihr eigenes Verhalten, ihre Schuld und ihr Tun in Frage stellt. Eine Bestandsaufnahme von sich und der Gesellschaft quasi. Aber Fehlanzeige.
Auf den ersten 40-50 Seiten verhält sich die Protagonistin genauso wie ich es erwartet hatte: tough, selbstbestimmt, kritisch und ein bisschen aufrührerisch. Doch als die Schwangerschaft bestätigt wird, wird es chaotisch und kopflos, was ja in Anbetracht der Tatsache völlig verständlich ist. Aber auch schon vor dem positiven Schwangerschaftstest handelt Hedda komplett verantwortungslos und leichtsinnig (Sex ohne Verhütung – okay, ciao). Sowohl vor als auch nach Bestätigung der Schwangerschaft denkt Hedda nicht nach, verrennt sich und trifft viele seltsame, moralisch fragwürdige Entscheidungen. Ich wollte sie die ganze Zeit schütteln, sie ohrfeigen, sie anschreien, sie dazu bringen, mit dem Mist aufzuhören und endlich ihr Gehirn einzuschalten. So gesehen passt der norwegische Titel des Romans wie die Faust aufs Auge: „Jeg nekter å tenke“ heißt „Ich weigere mich, nachzudenken“. Das merkt man. Warum hat die Übersetzerin/der deutsche Verlag den Titel so stark verfremdet? Der norwegische Titel fasst den Inhalt des Romans auf den Punkt genau zusammen.
Hedda begibt sich in verschiedene Abhängigkeiten, emotional und existenziell, anstatt ihre Eierstöcke in die Hand zu nehmen und eine Entscheidung zu treffen (egal welche), flieht sie (das ist auch eine Entscheidung, die schlimmste nämlich): vor der Verantwortung, vor der Schwangerschaft und vor allem vor der Möglichkeit eine Abtreibung durchführen zu lassen. Natürlich will ich gar nicht leugnen, dass man in so einer Situation den Kopf verlieren kann, vor allem wenn man wie Hedda kein soziales Netz hat, welches einen auffängt (wobei selbst das nicht ganz stimmt, denn sie hat eine beste Freundin, die zwar offensichtlich genauso verantwortungslos lebt wie sie, die sie aber sicher auf diesem Weg begleitet hätte und zwei mögliche Kindsväter). Und als ihr plötzlich aufgeht, dass die Zeit nicht stehen geblieben ist und sie sich für einen Weg entscheiden muss (auch hier entscheidet sie sich für den schlimmsten), hat mich das vor Wut und Ekel komplett aus der Bahn geworfen. Und am Ende hat sie nichts aus ihren Fehlern gelernt, macht einfach weiter, wo sie vor ein paar Wochen aufgehört hat und landet höchstwahrscheinlich bald wieder in derselben Situation. Das ist einfach unglaublich dumm und verantwortungslos.
Dieser Roman ist das beste, mahnende Beispiel dafür, wie man mit einer ungewollten Schwangerschaft NICHT umgehen sollte. Dieser Roman zeigt eine Protagonistin, die am besten niemals Sex haben sollte/gehabt haben sollte, da sie offensichtlich unfähig ist, mit den Konsequenzen umzugehen (egal welchen: Schwangerschaft, Krankheiten usw). Dieser Roman zeigt, dass Abtreibung ein „bequemer Ausweg“ für Personen ohne jegliches Verantwortungsbewusstsein sein kann. Und ja, auch diese Personen haben das Recht auf Abtreibung – ohne Frage. Dennoch macht mir solch ein Verhalten einfach nur ganz ganz große Angst.
Der Roman schreibt sich ganz groß die Begriffe Feminismus und Selbstbestimmung auf die Fahne. Also entweder habe ich etwas ganz entscheidendes überlesen und der springende Punkt ist mir entgangen oder ich habe einfach eine andere Vorstellung von Feminismus und Selbstbestimmung. Mir ist klar, dass Frauen IMMER einen Weg finden werden, eine Schwangerschaft zu beenden; ganz besonders dann wenn die Gesellschaft ihnen Steine in den Weg legt. Das ist bittere Realität. Und ich bin dankbar dafür, in einem Land zu leben, in dem die Hürden relativ niedrig stehen. Und bei Hedda ist es ähnlich. Sie lässt die Bedenkzeit ungenutzt verstreichen und auch die Möglichkeit legal abzutreiben. Ja, an ein zwei Stellen regt sie sich über das weitere offizielle Verfahren auf, welches sie auf sich nehmen müsste, um eine fortgeschrittene Schwangerschaft abzubrechen, aber das konnte ich nicht ernst nehmen. In diesem Fall war es nie der Staat oder die Gesellschaft, die ihr Steine in den Weg gelegt haben oder sie an einer Abtreibung hindern wollten, sondern sie selbst. Sie ist schuld, das kann man nicht anders sagen. Und wenn das, was sie dann tut, Selbstbestimmung ist, dann gute Nacht. Ja, möglicherweise hätte der Arzt und die Gesellschaft mehr für sie tun sollen, aber Hedda ist in meinen Augen einfach nur selten dämlich: denn sie ist sehenden Auges in diese Schwangerschaft gerannt, mit offenen Armen, einer abgesetzten Pille und hat zu niemandem auch nur ein Wort gesagt. Und dass sie dann am Ende genau dort weitermacht, wo sie aufgehört hat, ist einfach nur dumm.
Und wo dieser Roman humorvoll sein soll, ist mir auch unerklärlich. Zum Lachen war mir überhaupt nicht, eher zum Weinen und zum Schreien. Aber gut, wahrscheinlich bin ich einfach nur mit dem falschen Humor gesegnet. In einem Bericht, in welchem sich die Autorin zu ihrem Roman äußert, sagt sie, dass die „Romanhelden zu Freunden werden, mit denen man sich identifizieren kann“. Erstmal: Romanhelden? Bitte wie, was? Und identifizieren? Nope, definitiv nicht. Ich habe außer Wut und Zorn nichts für die Figuren empfunden, und das gilt für alle: für Hedda, ihre beste Freundin, die zwei möglichen Kindsväter.
Die Kapitel sind extrem kurz (teilweise bestehen diese nur aus einem oder zwei Sätzen) und so hat man das Buch auch sehr schnell durch. Zum Glück. Der Stil ist salopp und locker, aber teilweise auch sehr ordinär und vulgär. Und wie bereits gesagt, wo das Ganze humorvoll oder unterhaltsam sei soll, ist mir wohl entgangen.
Fest steht: Die Autorin wollte provozieren. Das ist ihr gelungen. Aber ich bin ehrlich entsetzt, dass das Buch keine (er)klärenden Worte seitens der Autorin enthält. Abtreibung ist ein so sensibles und kompliziertes Thema und das auf so vielen Ebenen. So eine Geschichte kann man nicht einfach so stehenlassen.
Vielleicht denke ich auch einfach zu engstirnig, zu kurzsichtig, zu privilegiert und zu emotional? Es ist einfach zu sagen: „Mir würde sowas niemals passieren“, sowas kommt einem häufig sehr schnell (manchmal viel zu schnell) über die Lippen. Aber in diesem Fall bin ich fest davon überzeugt, dass ich mich nicht in so eine Situation manövrieren würde.
Mein Fazit
„Mittwoch also“ ist ein mahnendes Beispiel dafür, wie man NICHT mit einer ungewollten Schwangerschaft umgehen sollte. Der Roman empfiehlt sich nur für Leser, die reflektiert lesen können und nicht für diejenigen, die nur auf der Suche nach Unterhaltung sind.