[Rezension] Nie nie nie

Nie nie nie – Linn Strømsborg

Aquila

Verlag: Dumont | Seiten: 256
Originaltitel: Aldri, aldri, aldri | Übersetzer: Stefan Pluschkat
Erschienen: 2019

Kurzbeschreibung

Eine junge Frau schildert wie ein Leben ohne Kinderwunsch und Mutterschaft aussieht. Sie erzählt davon, wie ihre Entscheidung gegen Kinder ihre Beziehungen und ihren Alltag beeinflussen. Sie erzählt von dem allgegenwärtigen Druck, ihre Entscheidung doch nochmal zu überdenken: Druck von Seiten ihrer Mutter, ihrem Partner, und der plötzlich schwangeren besten Freundin.


Meine Meinung

Dieses Buch hat mich in ein emotionales, in Tränen schwimmendes Wrack verwandelt. Die Geschichte und all die Erinnerungen, die der Roman wieder wachgerüttelt hat, haben an meinem Innersten gezogen und gezerrt. Und seit ich das erste Mal offen und ehrlich eingestanden habe, dass ich keine Kinder möchte, fühlte ich mich verstanden.

Wenn es darum geht als Frau keine Kinder zu wollen, bekommt man sehr schnell das Gefühl mit diesem Thema ganz allein auf der Welt zu sein. Dieses Buch hat mir das Gegenteil bewiesen. Es war, als würde ich endlich mit jemandem sprechen und dem*derjenigen mein Herz ausschütten, der*die mich wirklich versteht – bis in die letzte Faser, bis in den letzten unausgesprochenen Gedanken.

Dreh- und Angelpunkt des Romans ist die Frage, wie ein Leben ohne Kinder, ohne Kinderwunsch, ohne Mutterschaft aussehen kann. Und genau das zeigt der Roman auf sehr ehrliche Art und Weise:  wie man auch ohne Kind glücklich werden kann; wie man dieses vielbeschworene Glück finden kann, das es eigentlich nur in Verbindung mit der Mutterschaft geben soll. Es ist keine Bedienungsanleitung zu einem glücklichen Leben, aber es zeigt, dass es möglich ist (auch wenn die Gesellschaft einem das Gegenteil einreden möchte).

Aufgrund der sehr kurzen Kapitel fliegt man nur so durch die Seiten: Es sind Momente, Augenblicke, Eindrücke und Gedanken, die die Autorin in mal längeren, mal kürzeren Abschnitten erzählt (und dabei sehr viel Papier verbraucht).

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive erzählt. Zwischendurch kommen es allerdings auch Perspektivwechsel vor, die ich zunächst ein wenig befremdlich fand. Ich habe diese Szenen als Gedankenspiele, Kopfkino, Wunschvorstellungen der Protagonistin aufgefasst. Und auf einen zweiten Blick würde ich dann doch sagen: Ja, doch, kommt hin – kenne ich. Doch die Protagonistin spricht nicht nur über sich selbst, sondern auch von anderen Menschen, die eine ähnliche Wahl getroffen haben oder treffen wollen.

Was mich an dem Roman am meisten überrascht hat, waren die Ehrlichkeit, die Direktheit und die Authentizität mit der die Autorin den Lebensentwurf der anonymen Protagonistin beschreibt. Mir ist übrigens erst relativ spät aufgefallen, dass die Protagonistin namenlos geblieben ist; so eingenommen, so abgetaucht war ich, so sehr habe ich mich in ihr wieder entdeckt. In dieser anonymen Protagonistin steckt auch so viel von mir. Für mich war die Lektüre eine krasse Konfrontation und vor allem extrem persönlich.

Doch es geht nicht nur um Parallelen in Bezug auf die Einstellung zum Thema Kinder und die damit verbundenen Erfahrungen, sondern auch um Parallelen im Denken, im Handeln und sogar in der Freizeitgestaltung – die auch sehr von den Erwartungen der Gesellschaft abweichen. Solche Vorbilder, und nicht nur welche auf Papier, sondern im gelebten Leben, davon brauchen wir viel mehr.

Die Geschichte ist emotional aufgeladen, aber die Protagonistin beweist darin emotionale Stärke, sie verliert sich nicht in Selbstmitleid, wirkt manchmal sogar ein wenig zu nüchtern, zu gefasst. Es kommt zu ständiger Konfrontation: Es geht um den allgegenwärtigen Rechtfertigungsdruck; es geht darum wie es ist die einzige kinderlose Person im Freund*innenkreis zu sein; es geht um die unablässigen Unsicherheiten und Selbstzweifel, die Ängste, die potentielle Reue mit der Entscheidung doch nicht glücklich zu werden. Darum wie man eine beste Freundschaft leben kann, die so andere und unerwartete Wege einschlägt. Aber es geht auch um Freiheiten und um Sorglosigkeit, um die Vorteile, die ein kinderfreies Leben mit sich bringt. Ganz allgemein um die Frage nach dem „Glück“. Der Roman zeichnet ein Bild, das uns die Gesellschaft am liebsten vorenthalten würde, und zwar das einer glücklichen, kinderfreien Single-Frau.

Teilweise fand ich es fast schon gruselig, dass in dem Roman sehr viele Textstellen, ja ganze Passagen vorkommen, die ich auch 1:1 zu hören bekommen, gedacht oder gesagt habe. Hat die Autorin da etwa ein paar Blicke in mein Tagebuch geworfen? Zum Beispiel:

„Die Mutter aller Fragen: Willst du gar nicht, dass sich später jemand um dich kümmert? […] ‚Hast du etwa nur Kinder bekommen, damit sich später jemand um dich kümmert?‘, habe ich einmal entgegnet. ‚Nein‘, hat die Fragende geseufzt, ‚ist ja wohl klar.’“ (S. 54)

„Und wenn ich nicht aus der Stadt ziehen, eine Familie gründen und jemand anders werden will – bin ich dann nicht erwachsen? Oder kann man auch erwachsen sein, wenn man andere Träume und Wünsche hat als das?“ (S. 62)

„Ich könnte Großmutter sein, aber du lässt mich ja nicht“ (S. 71)

„Ich habe mich oft gefragt, ob der Sinn der Ausflüge vor allem darin bestand, danach wieder nach Hause zu kommen. Ich muss nicht wegfahren, um dieses Gefühl heraufzubeschwören. Ich kann es hier und jetzt tun“ (S. 107)

Und ich könnte noch viel mehr Zitate anführen, die mir erschreckend bekannt vorkamen.

Die Lektüre tat weh, aber es war auch unglaublich befreiend, Mut machend und heilsam. Es kommt mir vor als hätte ich mit dem Zuklappen des Buches auch einen Schlussstrich unter meine (bisherigen) Erfahrungen gezogen.


Mein Fazit

„Nie nie nie“ war für mich eine schmerzhafte, aber befreiende Lektüre. Wem ich das Buch empfehle? Eigentlich fällt mir niemand ein, dem*der ich es nicht empfehlen würde. Aber dennoch: Allen voran empfehle ich den Roman all den Personen, die sich mit ihrer Entscheidung, ein Leben ohne Kinder führen zu wollen, alleingelassen fühlen. Lest dieses Buch. Ihr seid nicht allein! Außerdem sollten all diejenigen dieses Buch lesen, die einer anderen Person in ihrem näheren Umfeld bei dieser Frage und der Entscheidung eine Stütze sein wollen, die versuchen wollen zu verstehen.


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