Titel: Spiegel
Autor: Cixin Liu
Übersetzer: Marc Hermann
Verlag: Heyne Verlag
Seiten: 108 (+ Anhang)
Erschienen: 2017
Kurzbeschreibung
In einem China der Zukunft deckt ein Beamte einen Korruptionsskandal auf. Doch bevor der Beamte den Skandal publik machen kann, wird er verhaftet und landet selbst im Gefängnis. Dort taucht ein mysteriöser Mann auf und verwickelt den Beamten in ein Gespräch über Supercomputer, Quantentheorie, Superstringtheorie und über das Zeitalter des Spiegels.
Meine Meinung
Normalerweise schaue ich mir sehr gerne mal einen Sci-Fi-Film oder eine Si-Fi-Serie (Stargate forever ♥) an, aber ich nehme selten ein Buch aus diesem Genre in die Hand. Bei ‚Spiegel‘ habe ich eine Ausnahme gemacht und darüber bin ich sehr froh, da mir ansonsten eine starke Geschichte durch die Lappen gegangen wäre. Diese Novelle hat mich mit seinem recht simplen Setting aber mit seiner raffinierten Erzählweise in Erstaunen versetzt und mich verblüfft.
In einem China der Zukunft taucht man tief in die Vergangenheit des Universums und der Menschheitsgeschichte ab und man erlebt ein abgefahrenes Gedankenexperiment, welches gar nicht mal soooo abwegig erscheint. Mithilfe eines Superstringcomputers verfolgen die Figuren die Entstehung des Universums, werden Zeugen historischer Ereignisse und erhaschen einen erschreckenden Blick in die Zukunft. Insgesamt passiert recht wenig, dafür wird viel gesprochen, erzählt und erklärt. Die Handlung findet eher zwischen den Zeilen statt. Der Leser muss aufmerksam sein und die Zusammenhänge erkennen. Dieser Umstand erschwert das Lesen aber nicht; ganz im Gegenteil: man kommt sehr schnell voran. Zudem ist die Handlung extrem spannend. Damit meine ich nicht, dass sie besonders gruselig oder abenteuerreich ist. Natürlich besteht ein Nervenkitzel, aber auf einem ganz anderen Niveau als bei einem Krimi oder einem Abenteuerroman. Die Spannung der Novelle ergibt sich eher aus der Faszination für das Fremde, das Geheimnisvolle und das Rätselhafte. Es ist eine permanente Spannung, weshalb man die Novelle nur schwer aus der Hand legen kann.
Zur Spannung trägt auch der thematische Facettenreichtum der Novelle bei. Sie ist wissenschaftlich (Superstringtheorie, Quanteneffekte, Quantenphysik), politisch (Korruption) und philosophisch (Ursprung des Menschen, das Sein) geprägt. Diese drei Elemente werden vermischt und auf sehr realistische Weise dramatisiert. Die Erzählweise hat mich sehr stark an die Platonischen Dialoge aus der Philosophie erinnert. Es kommen verschiedene Figuren mit unterschiedlichen Werteeinstellungen, Zielen und Moralvorstellungen vor. Außerdem erschien es mir so, als würde Bai die Rolle eines ‚Platons‘ einnehmen und auf diese Weise sein Wissen um das Zeitalter des Spiegels darlegen.
Die wissenschaftlichen Aspekte der Novelle haben mich zwar zunächst etwas abgeschreckt, weil ich dem wissenschaftstheoretischen Teilen nicht vollständig folgen konnte (aufgrund mangelndem Hintergrund- und Fachwissens). Aber im Endeffekt geht es bei der Novelle nicht darum, zu verstehen wie die Quantenphysik funktioniert, sondern um das große Ganze: um das Schicksal der Menschheit. Die Novelle kann durchaus von Laien gelesen und verstanden werden, solange man offen und bereit ist, seine Gehirnzellen anzustrengen.
Die Novelle hat mich schwer begeistert und ich denke, dass sie sich durchaus auch als Schullektüre eignen würde. Dank des ausgedehnten Anhangs erhält der Leser einen fundierten Überblick über die Bereiche Science-Fiction-Literatur, Wissenschaftstheorie sowie deren Zusammenhänge.
Mein Fazit
‚Spiegel‘ ist eine spannende, dystopische, beängstigende und intellektuelle Erzählung mit einem unerwarteten Ende. Es ist eine Novelle, die einen nachdenklich stimmt und für die man sich Zeit nehmen sollte. Obwohl sie so kurz ist, ist sie nichts für ‚Zwischendurch‘. Möchte ich ein Zeitalter des Spiegels? Nein! Empfehle ich diese Novelle? Ja, denn es lohnt sich seine Zeit in diese 100 Seiten zu investieren. Es sind 100 Seiten, die es in sich haben.