[Rezension] Verdammt wütend

Verdammt würtend – Linn Strømsborg

Das Foto zeigt das Buch Verdammt wütend von Linn Strømsborg

Verlag: DuMont Buchverlag | Seiten: 224
Originaltitel: Faen, faen, faen | Übersetzer*in: Karoline Hippe
Erscheinungsjahr: 2024

Kurzbeschreibung

Britt hat von ihrem Leben die Nase gestrichen voll. Als Frau, Mutter und Ehepartnerin immer allen Erwartungen und Ansprüchen gerecht werden zu müssen, ist ihr zu viel geworden. Dieses „Zu viel“ lässt sie bei einem Ausraster während eines Urlaubs im norwegischen Sommerhaus heraus. Zusammen mit Nico, einer Freundin ihres Mannes, verschwindet sie in die Nacht und versucht zu sich selbst zurückzufinden. Dabei lässt sie überraschte und geschockte Familienmitglieder und Freund*innen zurück.


Meine Meinung

Der Titel dieses Romans ist Programm: Bei der Lektüre scheint die Wut aus jeder Seite, aus jeder Zeile und aus jedem Absatz hervor. Mal mit Scheinwerfern, mal als diffuses Leuchten in der Ferne. Aber die Wut ist da und sie lässt einen beim Lesen nicht los. „Verdammt wütend“ ist keine Gute-Nacht-Lektüre zum Entspannen – da hilft auch der nervenberuhigende Kräutertee nicht.

Ich muss zugeben, dass mir die Protagonistin Britt nicht mal sonderlich sympathisch war. Aber die abweisende Ausstrahlung kommt daher, dass Britt die ganze Zeit gegen ihre widrigen Lebensumstände verteidigen muss, die ihr – so erscheint es zumindest beim Lesen – nur wenig Raum für Freude lassen. Dass es der Autorin gelingt beim Leser*bei der Leserin dennoch Wagenladungen von Mitgefühl hervorzurufen, spricht definitiv für die erzählerischen Fertigkeiten von Linn Strømsborg.

Bei der Darstellung ihrer Figuren geht es der Autorin mMn auch gar nicht darum, Sympathiepunkte bei den Lesenden zu sammeln. Es geht nicht um Perfektion, sondern es geht um die Hässlichkeiten im Leben, die uns alle unweigerlich ereilen. In Britts Fall sind das der innere und äußere Erwartungsdruck eine perfekte Tochter, Frau, Mutter und Ehepartnerin zu sein. Es ist die Belastung durch Care Arbeit und Mental Load sowie die Vereinzelung in einer Partnerschaft. Ganz ehrluch, unter diesen Umständen wäre ich auch verbittert.

Britts Geschichte erzählt von der Last des Mental Loads; von der Angst, Fehler zu machen; von der Reue, ein Leben zu führen, das man sich grundlegend anders vorgestellt hatte. Auf der anderen Seite geht es aber auch um Selbstermächtigung, darum den roten Faden der eigenen Geschichte wieder aufzunehmen und kompromisslos weiterzustricken.

Im Laufe des Romans liest man von Alltagsszenen der schrecklichsten Art, voller Frust und Überforderung. Und dann ist da noch Britts Aufwachsen, das bei ihr tiefe Spuren hinterlassen hat und ihr noch heute als Erwachsene keine Ruhe gibt. Das alles ist der Stoff aus dem strukturelle Ungerechtigkeit gemacht ist; was das Frau- und Mutter-Sein zu einer Last werden lässt.

Dazwischen Szenen eines Sommerurlaubs, geschildert von einer allwissenden Erzählerin, die auf und in die anderen Figuren blickt. Es ist Britt, die sich vorzustellen versucht, wie die Zurückgelassenen mit den Konsequenzen ihres Ausrasters und ihrer Abwesenheit umgehen. Was tun die Erwachsenen? Was tut ihr Ehemann? Was tun die Kinder? Was die Frauen und was die Männer?

Die Geschichte wird in kurzen Kapiteln geschildert. Es sind Momentaufnahmen der Gegenwart und der Vergangenheit, die Einblicke in Britts Leben und Gefühlswelt geben. Wir lernen den fragmentarisch geschilderten Alltag einer Frau kennen, die Mutter einer kleinen Tochter ist und einen Ehemann hat, den man als inkompetenten, kindgebliebenen Ehemann beschreiben könnte. Dieser kommt über die gesamte Länge des Romans nicht gut weg.

Aber wir lernen auch andere Figuren kennen: Im Herzen war ich ganz bei der Jugendlichen Runa, die schon so viel Wut in sich trägt, aber kein Ventil für diese hat. Sie kann sie nicht ausdrücken, wegen der schon viel zu großen Verantwortung, die ihren Alltag begleitet.

In Nico sieht Britt eine Wunschvorstellung: Nico ist all das, was Britt nicht ist, aber irgendwie gerne sein möchte. Nico ist ein Sinnbild für all die verpassten Chancen im Leben; für die Freiheiten, die Britt nicht hat; für den Mut, der ihr fehlt. Natürlich war mir Nico sympathischer als Britt, aber das war wenig überraschend. Worauf es der Autorin bei diesen beiden Frauen ankommt, ist die Freundschaft, die sich zwischen ihnen entwickelt. Frauen brauchen Frauenfreundschaften. Nico und Britt sind dafür ein wundervolles Beispiel.

Mir sind die Figuren wie Abstufungen voneinander vorgekommen. In ihnen werden die verschiedenen Rollenbilder, Charaktereigenschaften und Erwartungen sichtbar und von Figur zu Figur stufen sich diese ab. Während Britt in ihrer Wut gefangen ist und erst spät ein Bewusstsein dafür entwickelt, vollzieht sich diese Entwicklung in Runa viel schneller. Während Espen, Britts Ehemann, ein verantwortungsloser Dulli ist, ist sein Freund Trond schon eine Spur pflichtbewusster.

Aufgrund dieser Abstufungen und Spiegelbilder bin ich der Meinung, dass sich jede*r in diesem Roman wiederfinden wird. Man könnte meinen, dieser Roman sei nur für Frauen interessant, aber auch Männer können (und sollten) aus dieser Geschichte viele Winke mit dem Zaunpfahl mitnehmen.

Der Roman erinnert in seinem Aufbau und im Stil sehr stark an Strømsborgs vorhergehenden Roman „Nie, nie, nie“. Aber dieser Stil zeichnet die Autorin aus und es macht die Romane keineswegs identisch oder gar verwechselbar. Was ich nicht so ganz verstehe: Warum hat der deutsche Verlag entschieden, bei der Wahl des Titels so weit vom Original abzuweichen und die enge Verbindung zum vorhergehenden Roman aufzuheben? Warum heißt der Roman auf deutsch „Verdammt wütend“ und nicht „Verflucht, verflucht, verflucht“ (das wäre die ungefähre Entsprechung des norwegischen Titels „Faen, faen, faen“)…?


Mein Fazit

Mit ihrem neuen Roman hat mich Linn Strømsborg erneut überzeugen können. „Verdammt wütend“ ist ein erstklassiger Roman über die Belastung der Frau durch Care Arbeit, dem daraus entstehenden Mental Load und der Frage danach, worin der Selbstwert einer Person, einer Frau, einer Mutter, einer Ehepartnerin liegt und wie man ihn wiederfindet und/oder bewahrt.


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