Völkerschlachtdenkmal – Erich Loest
Verlag: mitteldeutscher verlag | Seiten: 288 Erschienen: 1984 |
Kurzbeschreibung
Carl Friedrich Fürchtegott Vojciech Felix Alfred Linden wird in einer Leipziger Heilanstalt zu seinem Vorhaben das Völkerschlachtdenkmal zu sprengen, befragt. Ungefragt rekapituliert er in diesem Verhör 150 Jahre sächsische und deutsche Geschichte. Angefangen bei der Völkerschlacht, über den zweiten Weltkrieg und hin zur Sprengung der Leipziger Universitätskirche.
Meine Meinung
Der Einstieg in den Roman war nicht einfach. Man wird ins kalte Wasser geschmissen: man weiß nicht wer, worüber, mit wem, warum spricht. Die Erzählung ist verwirrend und undurchsichtig. Sobald man allerdings ein paar Seiten gelesen hat, gewöhnt man sich daran und kommt in den Lesefluss. Langsam aber sicher kristallisiert sich heraus, worum es bei dem scheinbaren Monolog der Hauptperson geht. Der Einstieg in die Geschichte gestaltet sich deshalb schwer, weil der Erzähler immer wieder in andere Persönlichkeiten hinein- und herausschlüpft.
Die Hauptfigur ist Carl Friedrich Fürchtegott Vojciech Felix Alfred Linden (gesegnet sei Copy&Paste). Die Namen hat er sich von seinen Vorfahren angeeignet, durch die er die Geschichte rundum um das Leipziger Völkerschlachtdenkmal und der Stadt Leipzig erzählt. Je weiter sich die Handlung von der Vergangenheit entfernt und näher an den eigentlich Alfred Linden herantritt, umso klarer und ausführlicher werden die Schilderungen. Trotzdem kommt seine multiple Persönlichkeit immer wieder zum Vorschein.
Es ist ein verzerrtes, bizarres Erzählen, bei der sich Wirklichkeit, Wahnvorstellungen und Geschichte überlagern. Mit viel Witz, Ernst, aber auch Verbitterung und starker Symbolik ist der Roman eine außergewöhnliche, unkonventionelle, aber überzeugende Art und Weise sich der Geschichte einer Stadt und damit des Landes zu nähern. Als Leser erfährt man Triviales und weniger Triviales – man muss aber auch lernen, zu unterscheiden, zwischen Wahrheit und Fantasie. Als Neu-Leipzigerin sehe ich die Stadt jetzt mit etwas anderen Augen. Ich habe jedes Mal freudig aufgemerkt, wenn mir ein genannter Orts- oder Straßenname bereits bekannt war.
Dass es sich um eine Nacherzählung handelt (in Form einer Befragung handelt mit den Kapitelüberschriften als strukturgebendes Element derselben), merkt man nicht direkt. Die Erzählweise ist derart lebendig, dass sich die Handlung fast wie ein Film im Kopf abspielt. Die Figuren, ihr Leben, ihre Nöte und Wünsche sind realistisch, greifbar mittels des Jargons und des Zeitgeists, der einem auf jeder Seite begegnet. Sehr beeindruckend!
Mein Fazit
Ich hätte nicht gedacht, dass sich eine Leseempfehlung meines Reiseführers als derart überzeugende und spannende Lektüre entpuppen würde. Ein kompakter und alles andere als staubtrockener Rückblick auf 150 Jahre Geschichte. Selbstverständlich kann nicht jede Begebenheit für bare Münze genommen werden, man muss unterscheiden: zwischen Fantasie und Wahrheit.
Auch empfehlenswert: Meid, Volker (1993): Erich Loest. Völkerschlachtdenkmal. Metzler Literatur Chronik. Werke deutschsprachiger Autoren. 712-713.